Wenn Kommunen zu Vorreitern werden
Augsburg, September 2025 – Zwei Tage lang verwandelte sich das Grandhotel Cosmopolis in eine Denkwerkstatt für soziale Innovation. Vom 18. bis 19. September diskutierten Praktiker:innen, Expert:innen und kommunale Vertreter:innen beim Netzwerktreffen Wohnen statt Unterbringung (WoSu) über eine der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit: Wie schaffen wir mehr Wohnraum für Menschen in Notlagen? Die Devise: Gemeinsam Wohnraum schaffen – statt Unterbringung nur zu verwalten.
Allein vom bayernweiten Projekt WoFA (Wohnraum für Alle) reisten zehn Personen an – teilweise mit mehrstündiger Anreise. Ein Zeichen dafür, wie wichtig der Austausch über Grenzen hinweg geworden ist. In Workshops, Best-Practice-Vorträgen und intensiven Diskussionsrunden zeichnete sich eine klare Botschaft ab: Die Lösungen liegen näher, als viele denken – nämlich direkt vor Ort, in den Rathäusern und Landratsämtern.
Rostock: Geben und Nehmen als kommunale Strategie
Besonders eindrucksvoll zeigte sich das Potenzial kommunalen Handelns am Beispiel Rostock. Herr Lemke vom Amt für Soziales und Teilhabe präsentierte ein Modell, das so einfach wie wirkungsvoll ist: Die Kommune übernimmt aktiv Verantwortung für schwierige Miet- und Wohnverhältnisse – und erhält im Gegenzug jährlich 15 Wohnungen für das Housing First-Programm. Diese Wohnungen gehen direkt an obdachlose Menschen, ohne Umwege, ohne Warteschleifen.
Das Ergebnis ist messbar, der Beitrag zur Reduzierung von Obdachlosigkeit konkret. Hier wird deutlich: Wenn Kommunen nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern aktiv gestalten, entstehen tragfähige Lösungen, die freie Träger allein kaum erreichen können.
Berlin und München: Genossenschaften mit sozialem Auftrag
Dass auch Wohnungsbaugenossenschaften eine Schlüsselrolle spielen können, zeigten Xenion aus Berlin und InVia aus München in einem gemeinsamen, eindrucksvollen Vortrag. Beide Genossenschaften verfolgen bereits per Satzung das Ziel, sozial günstigen Wohnraum zu schaffen – doch sie gehen noch einen Schritt weiter.
Jahr für Jahr stellen sie einen festen Prozentsatz ihrer Wohnungen gezielt für sozial benachteiligte Menschen zur Verfügung, mit und ohne Migrationshintergrund. Das Besondere: Xenion und InVia bieten eine mietbegleitende Betreuung an. Sie klären Fragen rund um Miete, gemeinsames Leben und Nachbarschaft, unterstützen die Bewohner:innen dabei, sich in die Genossenschaft einzubringen – und kümmern sich um die Finanzierung der Genossenschaftsanteile.
Denn wer in eine Wohnungsbaugenossenschaft einzieht, muss Anteile erwerben. Für sozial benachteiligte Menschen ist das oft eine unüberwindbare Hürde. Hier setzen die Genossenschaften auf ein cleveres Modell: Stiftungen und andere Fördergeber bringen die Anteile auf und „parken“ sie bei der Genossenschaft, solange die Person dort wohnt. Zieht sie aus, fließt das Geld zurück an die Stiftung – ein revolvierendes System, das wie eine Kaution funktioniert und nicht verloren geht.
Die Bilanz beider Genossenschaften ist beeindruckend: Zahlreiche Menschen konnten so bereits in stabilen Wohnraum vermittelt werden. Ein Modell, das Schule machen könnte.
Rosenheim: Verborgene Schätze im Bestand
Kreativität und Pragmatismus verbindet ein Projekt aus Rosenheim. Studierende überplanten Einfamilienhäuser aus den 1950er- bis 1980er-Jahren und zeigten, wie sich diese in Mehrfamilien- oder Mehrgenerationenhäuser umwandeln ließen. Die Botschaft: In bestehendem Wohnraum steckt enormes, bislang ungenutztes Potenzial.
Die Kehrseite: Eine praktische Umsetzung bei den Eigentümer:innen blieb bisher aus. Ein deutlicher Appell an Politik und Bauwirtschaft, diese Ideen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern ernsthaft zu prüfen und zu fördern.
Dachau: Die Kraft lokaler Bündnisse
Dass Zusammenarbeit Türen öffnet, die für Einzelne verschlossen bleiben, beweist das Wissensbündnis „Wohnen für Alle“ in Dachau. Hier sitzen Landkreis, Stadt, Jobcenter, Eigentümer:innen und Vereine gemeinsam am Tisch. Die Partnerschaft ermöglicht, was freien Trägern oft verwehrt bleibt: effiziente Vermittlung von Wohnungen an Menschen in Notlagen.
München: Zweckentfremdung als soziale Ressource
München nutzt rechtliche Instrumente konsequent für soziale Ziele. Durch strikte Zweckentfremdungssatzungen und strategische Zwischennutzungen stellt das Sozialreferat mehr als 1.500 Wohnungen für Menschen in Notlagen oder mit Migrationshintergrund bereit. Leerstand wird zur sozialen Ressource – ein Modell mit Signalwirkung.
Die zentrale Erkenntnis: Kommunen sind der Schlüssel
Das Netzwerktreffen WoSu 2025 liefert eine klare Erkenntnis: Kommunen sind nicht Teil des Problems – sie sind der Schlüssel zur Lösung. Wo Städte, Landkreise und Gemeinden Verantwortung übernehmen, lokale Bündnisse schmieden und aktiv kooperieren, entstehen Lösungen mit nachhaltiger Wirkung.
Lokale Allianzen zwischen kommunalen Verwaltungen, Wohnungswirtschaft, Eigentümer:innen und Jobcentern öffnen Türen, die freie Träger allein nicht aufstoßen können. Doch erst durch partnerschaftliche Zusammenarbeit von Kommunen, freien Hilfeanbietern wie WoFA, Zivilgesellschaft, Wohnungsbaugenossenschaften und Wohnungswirtschaft lassen sich nachhaltige Lösungen gegen Wohnungsnot wirklich effektiv entwickeln.
Das Treffen in Augsburg war ein eindrucksvolles Plädoyer dafür, dass Wohnraumpolitik und soziale Verantwortung Hand in Hand gehen müssen – mit klaren Rollen, gegenseitigem Vertrauen und dem Willen, gemeinsam zu handeln. Die Beispiele aus Rostock, Berlin, München, Rosenheim und Dachau zeigen: Es funktioniert. Jetzt gilt es, diese Impulse weiterzutragen.